Personalauswahl / Test

Vorwort

Elbert Hubbard hat eine der reichsten Zitatensammlungen der englischsprachigen Literatur hinterlassen. Beispiel:

  •  Der Freund ist einer, der alles von dir weiß, und der dich trotzdem liebt.
  • Die Lüge ist ein sehr trauriger Ersatz für die Wahrheit, aber sie ist der einzige, den man bis heute entdeckt hat.

Wohl das erfolgreichste Schriftstück von Elbert Hubbard, „Eine Nachricht an Garcia“, wurde am 22. Februar 1899 spontan in einer einzigen Stunde nach dem Abendessen verfasst. Der Aufsatz erschien in der März Ausgabe von Hubbards Zeitschrift „The Philistine“. Kurz nach dem Erscheinen wurden unerwartete Mengen an extra Kopien der Zeitschrift bestellt. Dann kam ein Telegramm von der New York Central Railway (NYCR), ob man 100 000 Kopien drucken könne.

Da dies Hubbards Produktionsmöglichkeiten völlig sprengte, gab er der NYCR Erlaubnis über eine Million Exemplare zu drucken.

Kurze Zeit später war Prinz Hilakoff, Direktor der russischen Eisenbahngesellschaft zu Besuch bei der NYCR, sah den Aufsatz, ließ ihn auf russisch übersetzen und gab eine Kopie an jeden Mitarbeiter seiner Gesellschaft. Während des russisch-japanischen Krieges wurde eine Kopie an jeden russischen Soldaten gegeben. Die Japaner fanden die Büchlein bei russischen Soldaten, ließen es ins japanische übersetzen und der Mikado ordnete an, daß jeder Mitarbeiter der japanischen Regierung (Militär oder Zivil), eine Kopie bekäme.

Und hier ist nun der Aufsatz, der vor über 100 Jahren so viel Aufsehen erregte und der noch heute zu den Klassikern der Geschäftsliteratur gehört.

Eine Nachricht an Garcia

von Elbert Hubbard (1856 – 1915), amerikanischer Essayist und Humorist 
In dieser ganzen Kuba-Geschichte gibt es einen Mann, der ragt in meinem Gedächtnis aus dem Horizont heraus wie Mars zum Perihelion. Als der Krieg zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten ausbrach, war es notwendig, sich schnell mit dem Rebellenführer zu verständigen. Garcia war irgendwo in den Bergmassen von Kuba – niemand wusste wo. Weder Post noch Telegraphie konnten ihn erreichen. Der Präsident mußte seine Mitarbeit sichern und schnell.

Was zu tun? 
Jemand sagte zum Präsidenten: „Es gibt da einen Mann namens Rowan. Der wird Garcia für Sie finden, wenn es überhaupt jemand kann.“
Rowan wurde gerufen und es wurde ihm ein Brief gegeben, der an Garcia ausgeliefert werden sollte. Wie „der Mann namens Rowan“ den Brief nahm, ihn versiegelte, ihn in einen Ölhautbeutel steckte, diesen über seinem Herzen angurtete, innerhalb von vier Tagen bei Nacht in einem offenen Boot an der kubanischen Küste anlegte, in den Urwald verschwand und in drei Wochen an der anderen Seite der Insel herauskam, nachdem er das feindliche Land zu Fuß durchquert hatte und nachdem er den Brief an Garcia ausgeliefert hatte, das sind Dinge, die ich jetzt nicht im Einzelnen erzählen möchte.

Der Punkt, den ich machen möchte, ist folgender: McKinley gab Rowan einen Brief, der an Garcia ausgeliefert werden sollte. Rowan nahm den Brief und fragte nicht: „Wo ist er?“ Beim Ewigen! Da ist ein Mann, dessen Abbild in unsterbliche Bronze gegossen werden sollte und dessen Statue in jedem College im ganzen Land aufgestellt werden sollte. Es ist nicht Bücher-Wissen, das junge Leute brauchen, oder Anweisungen in diesem oder jenem, sondern eine Verstärkung ihres Rückgrats, so daß sie einer Aufgabe treu sein können, daß sie prompt handeln können, daß sie ihre Energien konzentrieren können: Um eines zu tun – „Eine Nachricht an Garcia auszuliefern!“

General Garcia ist jetzt tot, aber es gibt andere Garcias.
Kein Mann, der sich bemüht hat ein Unterfangen durchzuführen, in dem viele Hände erforderlich waren, war nicht schon mal entgeistert von der Beschränktheit des durchschnittlichen Mannes – seiner Unfähigkeit oder sein Unwille sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, und sie auszuführen.

Verpfuschte Hilfe, närrische Unaufmerksamkeit, unschickliche Gleichgültigkeit und halbherzige Arbeit scheinen die Regel zu sein; und kein Mann kann Erfolg haben, wenn er nicht rechtens oder unrechtens, durch Drohung andere Menschen zwingt oder besticht ihm zu helfen; es sei denn, Gott in seiner Güte wirkt ein Wunder und schickt ihm einen Lichtengel als Helfer.

Und diese Unfähigkeit für unabhängige Tätigkeit, diese moralische Dummheit, diese Schwäche des Willens, dieser Unwille, mit Frohmut anzupacken und hoch zu heben, sind die Dinge, die den echten Sozialismus so weit in die Zukunft verdrängen. Wenn Menschen nicht bereit sind, für sich selbst zu handeln, was werden sie dann tun, wenn ihre Anstrengungen für den Nutzen aller ist? Offensichtlich ist ein Maat mit einer klobigen Keule vonnöten, und die Furcht am Samstag Abend den „Rausschmiss“ zu bekommen, hält viele Arbeiter an ihrem Platz.

Annoncieren Sie für einen Stenographen, und neun von zehn der Bewerber können weder buchstabieren noch Punktation – und halten das noch nicht einmal für notwendig.
Kann so jemand einen Brief an Garcia schreiben? 
„Siehst Du den Buchhalter da,“ sagte der Vorarbeiter in einer großen Fabrik zu mir. 
„Ja, was ist mit ihm?“ 
„Er ist ein guter Buchhalter, aber wenn ich ihn in die Stadt schicken würde, um eine Aufgabe zu erledigen, dann würde er sie vielleicht erledigen. Auf der anderen Seite würde er vielleicht in vier Kneipen entlang dem Weg anhalten und bis er auf der Hauptstrasse angekommen ist, hat er vergessen, was er erledigen sollte.“

Kann man einem solchen Manne anvertrauen, eine Nachricht an Garcia zu übermitteln?
In letzter Zeit hören wir so viel gefühlsselige Sympathie zum Ausdruck gebracht für die“unterdrückten Bewohner des Schweiß-Shops“ und die „heimatlosen Wanderer auf Suche nach ehrlicher Arbeit“ und zusammen damit hört man viele harte Worte für die Männer an der Macht.

Nichts wird von dem Arbeitgeber gesagt, der vorzeitig altert in seinen vergeblichen Versuchen schlampige Tunichgute dazu zu bringen, intelligente Arbeit zu leisten und seinen langen geduldigen Bemühungen mit „Hilfe“, die nichts tut außer faulenzen wenn er ihnen seinen Rücken zuwendet. In jedem Geschäft und jeder Fabrik ist ein dauernder Säuberungsprozess im Gange. Der Arbeitgeber schickt dauernd „Hilfe“ weg, die ihre Unfähigkeit gezeigt hat, die Belange des Betriebes vorwärts zu bringen und andere werden eingestellt. Egal wie gut die Zeiten, dieser Sortiervorgang geht weiter. Nur wenn die Zeiten hart sind und Arbeit wenig, dann wird feiner sortiert – aber hinaus und immer wieder hinausgehen die Inkompetenten und Unwürdigen.

Es ist das Überleben des Besten. Eigeninteresse zwingt jeden Arbeitgeber, diejenigen zuhalten, die am besten in der Lage sind, die Nachricht an Garcia zu tragen. …………..

………………Habe ich es zu stark ausgedrückt? Vielleicht. Aber während die ganze Welt schlampt, möchte ich ein Wort der Sympathie ausdrücken für den Mann der Erfolg hat – der Mann, der die Anstrengungen anderer gegen alle Erfolgsaussichten geleitet hat und der festgestellt hat, nachdem es ihm gelungen ist, daß nichts darinnen ist außer schmaler Kost und Kleidung.

Ich habe die Frühstücksdose getragen und habe für Tageslohn gearbeitet. Ich bin auch ein Arbeitgeber gewesen. Ich weiß, man kann für beide Seiten etwas sagen. Es ist jedoch kein Ruhm als solches in Armut. Lumpen sind keine Empfehlung, und alle Arbeitgeber sind nicht Ausbeuter und eigenmächtig – genauso wenig, wie alle armen Menschen tugendhaft sind.

Mein Herz ist mit dem Mann der seine Arbeit genauso gut tut wenn „der Boss“ abwesend ist wie wenn er anwesend ist. Und der Mann, der ruhig seiner Aufgabe nachgeht, wenn ihm eine Nachricht an Garcia gegeben wird, ohne idiotische Fragen zu stellen und ohne die lauernde Absicht, den Brief in den nächstgelegenen Gulli zu werfen, der ihn also nur ausliefert; der wird niemals entlassen und muß niemals für höheren Lohn streiken. Die Zivilisation ist eine lange Suche nach solchen Individuen. Alles was ein solcher Mann will, wird er bekommen – solche Männer sind so rar, daß kein Arbeitgeber sich leisten kann, sie gehen zu lassen. Er ist in jeder Stadt und jedem Dorf, in jedem Büro, Laden und in jeder Fabrik begehrt. Die Welt schreit aus nach ihm: Er wird gebraucht – und verzweifelt gebraucht – der Mann, der Garcia eine Nachricht bringen kann.

Das Ende 

Wenn Sie jemanden suchen, der „eine Nachricht an Garcia“ übermitteln kann, dann machen Sie einen kleinen Test:

Sie sitzen in Ihrem Büro, sechs Angestellte in Reichweite. Geben Sie einem von ihnen folgenden Auftrag: „Sehen Sie bitte in der Enzyklopädie nach und machen Sie mir eine knappe Zusammenfassung über das Leben von Coreggio.“

Wird der Angestellte ruhig, „Ja, Chef“ sagen und sich an die Arbeit machen? Sie können Gift darauf nehmen, er wird nicht.

Er wird Sie aus stumpfen Augen ansehen und eine odere mehrere der folgenden Fragen stellen:

  • Wer war das?
  • Welche Enzyklopädie?
  • Wo ist die Enzyklopädie?
  • Wurde ich dafür eingestellt?
  • Meinen Sie nicht Bismarck?
  • Warum macht das nicht Charlie?
  • Ist der tot?
  • Ist das eilig?
  • Soll ich Ihnen nicht lieber das Buch bringen und sie schlagen es selbst nach?
  • Was soll ich denn noch alles wissen?“

und ich wette zehn zu eins, nachdem Sie die Fragen beantwortet und ihm erklärt haben, wie man die Information findet und warum Sie sie wollen, wird der Angestellte hinausgehen und einen der anderen Angestellten bitten, ihm zu helfen Garcia zu finden – und dann wird er wiederkommen und Ihnen sagen, daß es keinen solchen Mann gibt.

Selbstverständlich kann ich meine Wette auch verlieren, aber nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit, werde ich es nicht.
Auszug aus: „Eine Nachricht an Garcia“ von Elbert Hubbard (1856 – 1915),
amerikanischer Essayist und Humorist.